Führung als Gestaltung des Miteinanders in der Organisation

 

Der klassische Führungsbegriff besteht aus zwei Komponenten: Einmal die Hierarchie, die asymmetrische Über- bzw. Unterordnung innerhalb der Organisation und dann die Fähigkeit der Organisation, durch Gruppen oder Einzelne vorgegebene Ziele zu erreichen. (Gablers Wirtschaftslexikon 2014) Eine Führungskraft war in diesem Weltbild dadurch gekennzeichnet, dass sie Durchsetzungskraft zeigte, also in der Lage war, Menschen zu mehr Leistung zu bewegen, als diese von sich aus bereit waren zu zeigen. Dazu verfügte die Führungskraft einerseits über genügend Sanktionen, um Druck auszuüben und andererseits über genügend Fach- und Sachkenntnis, um die Arbeitsleistung jedes Untergebenen bewerten zu können. Anweisung und Kontrolle waren die probaten Mittel, wie die gesteckten Ziele zu erreichen waren.

Viele dieser Annahmen über Führung stimmen heute nicht mehr: Kaum eine Führungskraft kann tatsächlich noch im Detail beurteilen, wie 'fleißig' ein Mitarbeiter ist, weil er dessen Arbeit im Detail nicht kennt. Zielvereinbarungen sind als Hilfskonstruktion auch nur so gut, wie sie flexibel auf von 'außen' erfolgende Veränderungen der bisherigen Spielregeln reagieren können. Die gegenwärtige Arbeitswelt erfordert Entscheidungen rund um den Globus und rund um die Uhr – die Produktionsmaschine in Indien ist ausgefallen, in Chile gibt es Probleme mit dem Genehmigungsverfahren. Da sind die alten Führungsstrukturen zu langsam. Bis alle Hierarchien der alten Entscheidungskette nach oben durchlaufen und das Ergebnis wieder unten angekommen ist, ist der Schaden schon exponentiell gestiegen. Führung in Matrixorganisationen bringt die Führungskräfte immer wieder in den Spagat verschiedener Rollen.

Führung bedeutet: Zusammenhänge erklären

Wenn Führungskräfte ihre Aufgabe in der Organisation wirklich wahrnehmen, dann verstehen sie sich als Organisationsentwickler: Sie gleichen immer wieder ab, ob die vorhandenen Routinen und Ziele noch mit den sich eventuell ändernden Rahmenbedingungen von Gesellschaft, Werten und anderen Größen zusammenpassen. Sie gewährleisten so die Zukunftsfähigkeit der Organisation und ihre wesentliche Aufgabe besteht darin, aus diesem Soll-Ist-Vergleich nach innen den Sinn der bestehenden oder einer sich verändernden Organisation zu vermitteln. Das alte Bild von Führung war geprägt von der Vorstellung, dass sie die Situation beherrscht, alles im Griff hat und besser als die Mitarbeiter weiß, was gut für sie ist. Diese Art der freiwilligen Unterordnung scheint sich in der „Generation Y“ nicht automatisch weiter fortzusetzen. Sie hinterfragt jede Form solcher Bevormundung und stellt die eigenen Werte von Sinnerfüllung in das Zentrum ihrer Entscheidungen, wo und an was sie arbeiten möchten.

Führung als Diskussionsangebot

Wie leistungsfähig eine Organisation also ist, hängt heute im Wesentlichen an der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Da wird der Wandel im Menschenbild noch einmal deutlich: Führung motiviert dazu, auf der Höhe der Leistungsfähigkeit zu arbeiten, weil man den Sinn darin erkennt und akzeptiert. Und das wird möglich, weil alle Führungskräfte ihren Mitarbeitern den Sinn und Zweck von Zielen und Aufgaben erklären können und wollen – eine (fast) täglich neue Aufgabe und Anstrengung, die (eigentlich) nie endet, sondern immer wieder aufgefrischt werden muss. Führung muss sich ihren Führungsanspruch quasi täglich neu erarbeiten. Aber der Vorteil ist klar: Ein Mitarbeiter, der die strategischen Ziele kennt und weiß, wie die Ziele zusammenhängen und wie sie in das große Ganze einzahlen, wird zufriedener und engagierter arbeiten. Aus diesem Wissen über Ziele und Visionen leiten sich für jeden Mitarbeiter weiterhin unterschiedliche Aufgaben ab, aber die Erklärung von Umfeld, Sinn und Zweck bilden einen Orientierungsrahmen, der es jedem Mitarbeiter ermöglicht, Entscheidungen selbst zu treffen, Prioritäten selbst zu sortieren und als Unternehmer im Unternehmen Verantwortung für seinen Bereich zu übernehmen. Das sicherzustellen, ist eine Verpflichtung für jede Führungskraft. Das nennen wir bei Coverdale den kontextorientierten Führungsstil.

(Selbst-)Erfolgskontrolle

Wenn Mitarbeiter unbefriedigende Ergebnisse abliefern, sollten sich gute Führungskräfte immer zuerst fragen: „Was habe ich nicht richtig erklärt?“. Und wenn die Führungskräfte an sich selbst feststellen, dass sie (wieder) anfangen, ihre Mitarbeiter verstärkt zu kontrollieren, geht die Aufgabe an sie zurück: „Wie kann ich die Zusammenhänge noch besser erklären? Habe ich klar und empfängergerecht kommuniziert? Was kann ich bei der Erklärung der Strategie und der Ziele verbessern?“ Es geht in unseren Augen darum, ein neues Rollenverständnis als Führungskraft zu entwickeln: Top-Down-Entscheidungen, Freigaben und Kontrolle sollten – bis auf die Einschränkungen unten – als überholt gelten. Und nicht mehr nötig sein, weil die Mitarbeiter genug über die Strategie, den Sinn und Zweck ihrer Aufgaben in der Organisation und die Erwartungen der Stakeholder wissen. Die gemeinsame Entwicklung von Messkriterien, die Transparenz von Entscheidungen, Annahmen zum Umfeld und die Zusammenhänge mit anderen Zielen müssen immer wieder besprochen und geklärt werden, damit die Mitarbeiter ihre Aufgaben selbständig erfüllen können. Führung 'dient' also im wahrsten Sinne des Wortes den Mitarbeitern und befähigt sie zu mehr Selbständigkeit.

Ausnahmen

In einigen wenigen Situationen allerdings empfehlen wir, von dieser Art der Führung Abstand zu nehmen:

  • Kontrolle ist notwendig, wenn Risiken für das Leben anderer bestehen.
  • Kontrolle ist notwendig, wenn es um Notfälle geht.
  • Kontrolle ist notwendig, wenn jemand gerade lernt.
  • Kontrolle ist notwendig, wenn Menschen überfordert sind.


Quo vadis Führung?