Irgendwann ist irgendjemand auf die Idee gekommen, einen Haufen Arbeit als Stress zu bezeichnen. Und seitdem stöhnen Menschen, wenn sie viel arbeiten müssen, über den furchtbaren Stress, unter dem sie leiden, den sie kaum noch zu ertragen vermögen, der ihr Leben ruiniert, der sie krank macht. Selbst Kinder und Jugendliche reden heute vom Stress – bevor sie überhaupt jemals Gelegenheit hatten, ernsthafte Arbeit kennenzulernen. Dabei ist Stress in Wirklichkeit nur ein Produkt der Fantasie. Ein Einstellungs-Problem. Eine mentale Fehlleistung. Die jeder – je nach Willen – für sich selbst regeln sollte. Und für die man dankbar sein muss, weil Stress – positiv gesehen – produktiver macht.
So jedenfalls fasst der Kölner Wirtschaftsjournalist und Autor Jan Guldner die jüngsten Erkenntnisse von Psychologen und Neurobiologen zusammen in einem Artikel zum Thema Produktivität „Hektik und Termindruck sind schädlich? Von wegen … Mit der richtigen Attitüde macht Stress produktiv.“
In der Wirtschaftswoche Nr. 13 v. 24.03.16 schreibt Guldner auf S. 87: „Zahlreiche Forscher kommen in jüngster Zeit zu dem Ergebnis, dass Anstrengung und Hektik nicht Grund zur Sorge sein müssen, sondern Anlass zur Freude werden können. Denn für die Vertreter dieser Denkschule ist Stress vor allem eines: Ansichtssache.“
Diese Deutung ist allerdings noch lange nicht ‘salonfähig‘, denn ihre heutigen Verfechter „sehen sich einer Armee von Buchautoren, Beratern und Therapeuten gegenüber, deren einzige Daseinsberechtigung ist, Stress zu vermeiden und zu verteufeln. Wäre er plötzlich nur noch hilfreich, es bräche ein ganzer Wirtschaftszweig zusammen.“

Seitdem der Mediziner Hans Selye 1936 den Begriff ‘Stress‘ in die Welt setzte, galt Stress ausschließlich als Belastung, die man auf alle Fälle vermeiden sollte. Dabei war in der Wissenschaft schon lange bekannt, dass die Stressreaktion, rein biologisch betrachtet, wie ein Turbolader wirkt. „Stress ist eine sehr feine Anpassungsreaktion des Körpers auf Anforderungen von außen sagt Tim Hagemann, Professor für Arbeitspsychologie in Bielefeld. Doch genau an diesem Punkt kommt es zur entscheidenden Unterscheidung: Ob man diese Reaktion als positiv (Jetzt erst recht!) oder negativ (Das schaffe ich nie!) empfindet, entscheidet darüber, eine stressige Situation zu meistern oder an ihr zu scheitern. Der Gedanke dahinter: Indem man seine Einstellung zum Stress ändert, beeinflusst man seine Folgen.“

Diese Geisteshaltung, das sogenannte ‘Mindset‘, sieht auch Alia Crum, Psychologin an der Stanford-Universität, als wichtigen Faktor, um mit Stress gut zurechtzukommen. „Der positive Effekt der Geisteshaltung könnte eine biologische Ursache haben, wie Jeremy Jamieson von der Harvard Medical School herausfand. Bei der typischen Stressreaktion beschleunigt sich der Herzschlag und die Adern verengen sich … Jamieson beobachtete an Probanden: Wer Stress als hilfreich einstufte, dessen Adern verengten sich nicht, negative gesundheitliche Folgen blieben aus.“

Die Stanforder Psychologie-Professorin Kelly McGonigal sagt: „Es ist entscheidend, wie man über Stress denkt … .“
Ihre Erkenntnisse fasste sie im Buch: “The upside of stress“ zusammen. Ihr Motto: “Stress ist, was Du draus machst!“