Woher wissen wir eigentlich, was wir wollen? Was verstehen wir unter unserem Willen, der unser Handeln bestimmt? Und schlussendlich: Kann man den Willen stärken, trainieren wie einen Muskel? Mit derartigen Fragen beschäftigt sich ein (zugegebenermaßen recht abgehobener) Aufsatz: Der Kompass des Geistes in der philosophischen Zeitschrift Hohe Luft, Ausgabe 1, 2017, S. 18 ff.

Den frühesten Versuch einer Definition des Willens finden wir bei Aristoteles. Er bestimmte die Willenswahl als „überlegtes Begehren von etwas, das in unserer Macht steht“. Damit erkannte schon er, was das Wollen vom bloßen Wünschen unterscheidet. Wünschen kann man sich alles Mögliche, zum Beispiel eine Reise zum Mars. Wollen kann man hingegen nur das, was im Bereich der eigenen Möglichkeiten liegt. Den eigenen Arm kann man hochheben wollen. Dass eine andere Person den Arm hebt, kann man sich nur wünschen.

Menschen, die nicht wissen was sie wollen, werden in der Regel als Schwächlinge angesehen. Der bayrische Komiker Karl Valentin drückte das so aus: „Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hätt ich mich nicht getraut!“ Die Bedeutung von Willensstärke ist vielfach von Psychologen untersucht worden. Wenn sie fragen, was Menschen auszeichnet, denen ihr Leben gelingt – glückliche Familie, berufliche Karriere, stabile Gesundheit, finanzielle Sicherheit, persönliche Freiheit - dann stoßen sie immer auf zwei besonders wichtige Persönlichkeitsmerkmale: Intelligenz und Willensstärke. Berühmt geworden sind die Versuche, die der österreichisch-amerikanische Psychologe Walter Mischel mit Kindern durchführte. Mischel stellte seine jungen Probanden vor die Wahl: entweder sie nehmen einen Marshmallow sofort oder zwei Marshmallows in einer Viertelstunde. Als er Jahrzehnte später die inzwischen Erwachsenen wieder kontaktierte, fand er, dass jene, die einst willensstark genug gewesen waren, auf die zwei Marshmallows zu warten, jetzt ein größeres Selbstvertrauen und weniger Neigung zu Drogenmissbrauch hatten, besser mit Stress zurechtkamen, ein gelungeneres Beziehungsleben und ein erfolgreicheres Arbeitsleben führten, gebildeter und wohlhabender waren.

An seiner Intelligenz kann man leider nicht viel ändern. Sehr wohl aber an seiner Willenskraft. Wollen ist keine gottgegebene Fähigkeit. Man kann sie trainieren. Willensstärke wächst mit der Übung – wie die Stärke von Muskeln, Herz und Knochen. Der Sozialpsychologe Roy Baumeister von der Florida State University hat sich in langjährigen Studien mit diesem Thema befasst und die Ergebnisse vor einigen Jahren in einem Buch zusammengefast: Die Macht der Disziplin, Campus Verlag 2012. In diesem Werk erklärt er nachvollziehbar, wie wir unseren Willen trainieren können.

Auch christliche Denker haben sich jahrhundertelang mit dem Willen und seiner Stärke befasst. So sah Apostel Paulus die Sünde als zerrissenen Willen: „Ich tue nicht das was ich will, sondern was ich hasse.“ Für den Kirchenvater Augustinus zeigte sich in der Willensschwäche, dass der Mensch ohne Gott eben nicht stark genug sei. „Gott, gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit.“, betete der jüngere Augustinus „doch bitte nicht sogleich!“ Hätte der ältere Augustinus zu so reiner Frömmigkeit finden können, wenn nicht der jüngere so wollüstig gelebt hätte? Wahrscheinlich nicht. Wer richtig stark sein will, muss auch mal schwach sein können.