Ulrike Böhm ist erfahrene Partnerin bei Coverdale Deutschland und betreut viele internationale Führungsprogramme und Coachings mit Einzelpersonen.
Zu Hause ist Ulrike Böhm in der Nähe von Hannover. Ansonsten ist sie in ihrer Freizeit in ihrem Garten, beim Wandern oder auf diversen Golfplätzen anzutreffen.

 

Müssen alle Bereiche eines Unternehmens gleich agil werden?

Nein. Es geht darum, genau zu schauen, welcher Bereich was braucht, um das gewünschte Ziel zu erreichen. So gibt es Bereiche, in denen agile Arbeitsmethoden und Prozesse einen großen Mehrwert bringen können, z.B. in Teilbereichen der Produktentwicklung. In anderen Bereichen, z.B. Finanzen, können sie das Unternehmen unter Umständen destabilisieren. Wir empfehlen, eine hybride Organisation anzustreben, mit agileren Bereichen und weniger agileren Bereichen. Wichtig ist dann, dass über alle Bereiche hinweg ein gemeinsames Verständnis über die unterschiedlichen Arbeitsweisen und deren Verzahnung besteht, bei gleichzeitiger Wertschätzung der unterschiedlichen Arbeitsweisen.


Was ist beim Aufbau einer höheren Agilität zu beachten? Braucht es in agilen Unternehmen noch Führung?

Ein klares Zielbild und ein gemeinsames Verständnis über Agilität wurden schon benannt. Nur wenn das Zielbild klar ist, kann entschieden werden, wo mit welcher Weiterentwicklung und welchen Methoden und Prozessen die Agilität erhöht werden kann.

Besonders wichtig ist, sich nicht nur auf die Einführung agiler Methoden und Prozesse zu konzentrieren. Agilität fängt in den Köpfen der Führung an. Eine Anhebung von Agilität bedeutet immer auch eine verstärkte Abgabe von Entscheidungskompetenz und Verantwortung an die Mitarbeiter und eine wesentlich intensivere funktions- und fachübergreifende Zusammenarbeit. Gleichzeitig müssen die Führungskräfte sicherstellen, dass jeder Mitarbeiter auch die nötigen Fähigkeiten hat wie auch mit allen klare Regeln zu vereinbaren und Zielklarheit sicherzustellen. Für das Arbeiten mit agilen Arbeitsformen ist die Entwicklung von Mitarbeitern und Teamentwicklung durch die Führungskraft entscheidend für das Gelingen. Die Führungsaufgabe wird nicht überflüssig, sondern wesentlich anspruchsvoller. Agilität ohne eine neue Haltung und Zusammenarbeit bei Führungskräften und Mitarbeitern und ohne eine neue Art der Führung funktioniert nicht.

Wer sich mit Agilität beschäftigt, sollte einen Blick auf das Betriebssystem für Führung und Zusammenarbeit seiner Organisation werfen. Aus unserer Erfahrung sind für die Zusammenarbeit der Ausbau und die Weiterentwicklung der folgenden Prinzipien von zentraler Bedeutung.

  • Jeder Mitarbeiter ist sich bei jeder Tätigkeit bewusst, wer seine Kunden sind und wozu diese Kunden sein Arbeitsergebnis benötigen. Er macht keinen Unterschied zwischen internen und externen Kunden und nimmt auch sich als Kunden ernst, denn Kundenorientierung beginnt bei einem selbst.
  • Jeder Mitarbeiter beobachtet die Stärken und Potentiale seiner Kollegen und von sich selbst mit dem Ziel, die Stärken und Potentiale noch besser für den gemeinsamen Unternehmenserfolg einzusetzen.
  • Jeder Mitarbeiter arbeitet daran, die positive Energie im eigenen Unternehmen und in der Zusammenarbeit mit externen Kunden und Lieferanten zu stärken.
  • Jeder Mitarbeiter beteiligt sich an der Weiterentwicklung des Unternehmens auf allen Ebenen:
    o Produkte und Dienstleistungen
    o Prozesse und Strukturen
    o Führung und Zusammenarbeit.


Fördert Agilität Nachhaltigkeit?

Ja und nein. Manche Unternehmen erkaufen sich eine stärkere Kundenorientierung und höhere Anpassungsfähigkeit durch einen höheren Verschleiß von Führungskräften und Mitarbeitern. Die jetzt schon häufig bis an die Grenze geforderten Menschen werden noch mehr gefordert, sollen sich noch schneller anpassen und finden noch weniger Stabilität. Das führt langfristig zum Ausbrennen der Organisation. Eine Anhebung der Agilität geht nur mit den Menschen und wie alle lebenden Systeme brauchen Menschen eine Balance zwischen Stabilität und Veränderung bzw. einen guten Rhythmus. Die einzelnen Menschen sind hier differenziert zu betrachten. Manche Menschen brauchen mehr Stabilität, manche mehr Veränderungen. In hybriden Organisationen kann gezielt geschaut werden, wer wohin passt. Dazu ist der Aufbau einer Metastabilität wichtig. In einem Umfeld, in dem sich ständig viel verändert, muss es Klarheit darüber geben, wie ich mich als Mitarbeiter gut aufstellen und bewegen kann. Das gibt dann eine neue Form der Sicherheit.

Wenn es um den Aufbau einer vorausschauenden, proaktiven und gestaltenden Anpassungsfähigkeit geht, kann diese aus unserer Sicht nur gelingen, wenn Nachhaltigkeit ein zentraler Fokus ist: Wie kann die Organisation agiler werden und gleichzeitig die Ressourcen weniger belasten? Hier erweitert sich dann auch das Kundenbild. Der erste Kunde in einer nachhaltigen Organisation ist der Mitarbeiter selbst. Was braucht er, um bestmöglich und nachhaltig zum Erfolg seines Unternehmens beizutragen, ohne auszubrennen.

 

Welche Fehler können bei der Einführung von Agilität gemacht werden und welche Risiken sind damit verbunden?

Häufige Fehler sind:

  • Die Ziele sind nicht allen Beteiligten klar und das Verständnis über Agilität ist nicht einheitlich. Es findet kein Dialog dazu statt.
  • Die Führung entwickelt nicht oder nicht nachhaltig, die für Agilität benötigte Haltung und das benötigte Führungsverhalten.
  • Die Mitarbeiter werden nicht ausreichend befähigt, agil zu arbeiten, das Betriebssystem für Führung und Zusammenarbeit wird nicht ‘upgedatet‘, sondern es werden nur die Mechanik der neuen Methoden und Prozesse erlernt.
  • Es werden keine Lernprozesse in der Organisation etabliert, die eine zielgerichtete Entwicklung ermöglichen.
  • Es wird versucht, Agilität im Gießkannenverfahren über die gesamte Organisation auszuschütten.
  • Unterschiedliche Mitarbeiterbedürfnisse bezogen auf das Maß von Stabilität und Veränderung werden nicht berücksichtigt.

Unternehmen sind als lebende Systeme robust. Fehler bei der Einführung von Neuem werden durch das Zurückgehen auf Bewährtes beantwortet. Allerdings sinkt die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, mit jeder gescheiterten Weiterentwicklungsinitiative. Beim Gießkannenverfahren kann ein Unternehmen unter Umständen deutlich destabilisiert werden und das Gegenteil zum gewünschten Ziel tritt ein.


Resümee

Die Erhöhung der Agilität ist für Unternehmen ein wichtiges Entwicklungsthema, um anpassungsfähig zu sein und langfristig das Überleben und den Erfolg zu sichern. Für die Entwicklung in diese Richtung braucht es ein umsichtiges und differenziertes Vorgehen.